Wer Wohneigentum kauft, investiert sein Erspartes und setzt alles auf eine Karte. Wann lohnt sich das? Wo sind die Risiken? Und wie viel Geldreserven müssen trotzdem noch sein? – Zwei Experten aus der Praxis liefern die Antworten.
Marcel Keller ist ein «alter Hase» auf seinem Gebiet. Er leitet die Geschäftsstelle Weinfelden der Thurgauer Kantonalbank. Seit 30 Jahren arbeitet er im Finanzwesen, täglich hat er Kontakt mit Kundinnen und Kunden. Darunter sind viele, die sich für die Finanzierung eines Einfamilienhauses, einer Ferien- oder Eigentumswohnung interessieren. «Wer zu uns in die Beratung kommt, ist meistens schon sehr gut informiert. Die meisten sind bereits mit den wichtigsten Kennzahlen vertraut», sagt Keller. Mit anderen Worten: Sie kennen die Faustregeln für die Finanzierung, Eigenkapital und Tragbarkeit sind keine Fremdwörter für sie.
Jeder Kauf ist individuell
Banken verlangen von Kaufinteressenten oder künftigen Bauherren, dass sie mindestens 20 Prozent Eigenmittel aufbringen. Was viele nicht wissen: Gefordert sind mindestens 10 Prozent «echte» Eigenmittel, also Gelder aus 3a-Vorsorge-Konten oder von einem Sparkonto. Pensionskassengelder sind für diesen Teil ausgeschlossen. Auch für die Tragbarkeit gibt es eine Regel: Die laufenden Kosten, die das Haushaltsbudget belasten, sollten ein Drittel des Bruttoeinkommens nicht überschreiten.
«Die meisten Kunden haben sich schon mittels Online-Rechnern kundig gemacht», sagt Keller. Sie haben anhand des Kaufpreises im Internet bereits ausgerechnet, wie viel sie eine Hypothek monatlich kosten würde. Dennoch ist der Geschäftsstellenleiter der Meinung, dass die persönliche Beratung wichtig ist. «Der Online-Rechner vermittelt einen ersten Anhaltspunkt, doch jeder Fall ist individuell.» Manch ein Paar hat vielleicht jahrelang für das Traumhaus gespart und auf vieles verzichtet. Andere werden von den Eltern unterstützt, sei es in Form eines Erbvorbezugs, einer Schenkung oder eines Darlehens.
«Durch die aktuell tiefen Hypothekarzinsen scheinen die Bedingungen für den Erwerb von Wohneigentum besonders günstig», sagt Keller. Er warnt aber davor, sich nur vom Blick auf das Zinsniveau leiten zu lassen. Ob sich ein Kauf lohne, hänge immer von der persönlichen Situation ab. Die meisten Leute betrachteten eine Liegenschaft sowieso nicht in erster Linie als Spar- oder Investitionsobjekt. «Sie wollen die Lebensqualität als Eigenheimbesitzer geniessen und das Haus mit einer langfristigen Perspektive für sich nutzen.»
Der Notgroschen ist wichtig
Marcel Keller rät davon ab, bis auf den letzten Franken alles Ersparte ins Eigenheim zu investieren. «Wir empfehlen, eine Liquiditätsreserve zu halten.» Einerseits, um bei einem Kauf oder Neubau allfällige Mehrkosten wie Gebühren oder Anschaffungen wie Möbel zu decken. Anderseits für den täglichen Bedarf, um also unvorhergesehene Kosten wie zum Beispiel eine hohe Zahnarztrechnung zu begleichen. Ganz wichtig auch: die Absicherung für Erwerbsunfähigkeit oder Todesfall. Wenn man selbst beziehungsweise der Partner oder die Partnerin kein Einkommen mehr erwirtschaften kann, fehlt Geld in der Familienkasse. Wer dann nicht vorgesorgt hat, steht vor der schwierigen Situation, das Wohneigentum verkaufen zu müssen. Oft ist das innert kurzer Zeit nicht möglich. Eine Versicherung hilft, diese Phase ohne grösseren finanziellen Schaden zu überbrücken.
Auch Adrian Wenger, Experte beim VZ Vermögenszentrum, stellt in seiner Beratungstätigkeit fest, dass die Pfeiler der Immobilienfinanzierung bekannt sind. Zum Vorgehen erklärt er: «Wir gebrauchen Szenarienrechnungen, um verschiedene Strukturen – beispielsweise 50 Prozent Libor-Hypotheken, 50 Prozent Festhypotheken – zu testen und aufzuzeigen, wie sich die Durchschnittszinsen entwickeln. Zusammen mit dem Kreditnehmer wird dann entschieden, auf welches Zinsszenario gesetzt wird. Dann wird noch definiert, wie hohe Zinsen man überhaupt tragen kann und das führt dann wiederum zur Bestimmung der Strategie.» Die Kunden des Vermögenszentrums bereiten häufig ihre Pensionierung vor, sind älter als 55. «Viele von ihnen planen, ihr Haus zu verkaufen, weil das Eigenheim zu gross ist oder Unterhalt und Garten zu aufwendig geworden sind», sagt Wenger. «Sie bleiben meist Eigentümer, wechseln aber häufig ins Stockwerkeigentum, um Fläche, Kosten und Arbeit zu sparen. Der Schritt zum Mieter wird als Rückschritt interpretiert und nur als Plan B im Auge behalten.»
Sicherheit im Alter
Wer vor der Pensionierung steht oder schon pensioniert ist, habe tendenziell ein grösseres Sicherheitsbedürfnis, sagt Wenger. «Diese Leute können sich nicht sagen: Ich gehe nochmals 20 Jahre arbeiten, um ein finanzielles Loch zu stopfen.» Für sie stellt sich viel eher die Frage, ob das Geld auch nach der Pension noch reicht, um die Tragbarkeit zu gewährleisten. Spätestens mit 55, sagt Adrian Wenger, sollten Eigenheimbesitzer die Tragbarkeit überprüfen. Dann bleibt in der Regel noch genügend Zeit, um allfällige Einkommenslücken zu schliessen oder den fehlenden Betrag anzusparen. Wer seine Immobilie längerfristig halten will, muss sicherstellen, dass die Kosten auch nach der Pensionierung in einem gesunden Verhältnis zum Einkommen stehen. «Wer rechtzeitig plant und sich ein Konzept zurechtlegt, wird keine Überraschungen erleben.»
Viele Neu-Pensionäre stellen sich die Frage, ob sie Kapital aus der Pensionskasse beziehen und damit die Hypothek zurückzahlen sollen. Wenger rät eher davon ab. Er macht ein einfaches Rechenbeispiel: Bei der Pensionierung stehen 100 000 Franken Bargeld zur Verfügung, der Hypothekarzins bewegt sich bei 1 bis 1,5 Prozent. Benutzt man die 100 000 Franken für die Rückzahlung der Hypothek, spart man 1000 bis 1500 Franken pro Jahr. Alternativ dazu lässt man die Hypothek wie bisher stehen und lebt 10 Jahre lang von je 10 000 Franken. Dann zahlt man zwar weiterhin 1000 bis 1500 Franken Zinsen, doch 8500 Franken bleiben zum Leben. «Grundsätzlich lohnt es sich mehr, die Hypothek hoch und das Geld flüssig zu behalten», sagt Wenger. «Es sei denn, es sei soviel Geld vorhanden, dass es nicht so drauf ankommt.»
Kauf als Investment
Auch wenn es nicht die grosse Mehrheit ist: Es gibt immer mehr Leute, die allein wegen der Geldanlage in Immobilien investieren. Sie kaufen ein Haus oder eine Wohnung, um diese zu vermieten und damit Geld zu verdienen. «Mit dem richtigen Objekt und dem richtigen Mieter kann das gut funktionieren», sagt Wenger vom VZ Vermögenszentrum. «Die Verwaltung und Bewirtschaftung kann jedoch ein Vielfaches an Zeit beanspruchen, die man ursprünglich dafür einsetzen wollte.» Grundsätzlich rät der Fachmann, Eigentum nicht mit der teuersten Küche und den edelsten Bädern auszustatten – auch wenn es nur vorübergehend vermietet wird. «Die Erfahrung zeigt, dass Mieter in der Regel weniger sorgsam mit den Dingen umgehen als Besitzer.»
Noch etwas anderes spielt bei den Überlegungen vor einem Haus- oder Wohnungskauf häufig eine Rolle: die Steuerbelastung. Ein Umzug in eine Gemeinde mit einem tieferen Steuerfuss kann das Budget entlasten. Allerdings beobachtet Marcel Keller von der Thurgauer Kantonalbank, dass die Erwartungen oft zu hoch sind. «In den meisten Fällen ist die Steuerersparnis unter dem Strich marginal.» Adrian Wenger vom VZ Vermögenszentrum relativiert: Von Kanton zu Kanton gebe es zum Teil erhebliche Differenzen.
Allein wegen tieferer Steuern an einen bestimmten Ort zu ziehen, würde Keller nicht empfehlen. «Bei der Wahl des Wohnortes fallen ganz andere Faktoren ins Gewicht: Wo ist man aufgewachsen? Wo fühlt man sich wohl? Entscheidend sind Schulangebote, öffentlicher Verkehr, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten.» – Ein Immobilienkauf ist eben nicht nur mit viel Rechnerei verbunden, sondern auch mit sehr vielen Emotionen.
Text: Rebekka Haefeli
aus: Das Einfamilienhaus
Bezugsquellen:
Thurgauer Kantonalbank
www.tkb.ch
VZ VermögensZentrum AG
www.vermoegenszentrum.ch