Die hohe Staatsverschuldung mancher Staaten und die expansive Geldpolitik der Notenbanken deuten auf anhaltend tiefe Zinsen hin. Wer Eigenheim- und Wohnträume verwirklichen will, profitiert von wahrlich traumhaft günstigen Konditionen. Doch Vorsicht: Ganz ohne Risiken sind Hypotheken auch in Zukunft nicht.
Für jede Hausfinanzierung galten über Jahre und Jahrzehnte gewisse
goldene Regeln. Eine lautet: Jeder Schuldner muss sich gegen steigende
Zinsen absichern. Was nützt einem das hübsche Eigenheim, wenn es bei
steigender Zinsenlast finanziell nicht mehr tragbar ist? Die
Wirtschaftsgeschichte lehrt uns, dass die Zinsen tatsächlich stark
schwanken. Nehmen wir die Phase nach der Hochkonjunktur und dem
Immobilienboom der 1980-er-Jahre: Um der Überhitzung entgegenzuwirken,
hob die Schweizerische Nationalbank SNB die Leitzinsen stark an. Der
wichtige Referenzzins Libor kletterte auf über zehn Prozent – heute
unvorstellbar. Sogar die damals höchst populären variablen Hypotheken
kamen auf ein stolzes Zinsniveau von sieben Prozent.
Blick in eine Kristallkugel
Heute
scheinen quasi andere Naturgesetze zu gelten. Selbst längerfristige
Festhypotheken von fünf Jahren oder mehr unterschreiten die magische
Schwelle von einem Prozent Jahreszins. Stefan Studer, Mitglied der
Geschäftsleitung der Luzerner Kantonalbank, spricht von einer «generell
hohen Nachfrage nach Hypothekarfinanzierungen». Besonders beliebt seien
Festhypotheken mit fünf und zehn Jahren Laufzeiten. Auch andere Banken
stellen fest, dass viele Kunden die heute tiefen Zinsen möglichst lange
anbinden wollen. «Die fünfjährige Festhypothek wird am meisten
nachgefragt, gefolgt von der zehnjährigen und dann der dreijährigen»,
sagt Roland Altwegg von Raiffeisen Schweiz. Der Departementsleiter
Privat- & Anlagekunden a.i. geht von weiterhin tiefen Zinsen aus:
«Das aktuelle Marktumfeld und die Kommunikation der SNB sprechen dafür.»
Wie lange das Zinsniveau tief bleibe, gleiche aber «einem Blick in die
Kristallkugel. Die Kunden müssen sich selbst eine Meinung dazu bilden
können», so der Vertreter von Raiffeisen Schweiz.
Ob die Zinsprognosen in den letzten zehn bis 20 Jahren wirklich
verlässlich waren, bleibt umstritten. Immerhin haben nur wenige Leute
die Finanzkrise 2008 und die darauf folgende Tiefzinspolitik
vorhergesehen. Lorenz Heim vom VZ Vermögenszentrum hat dazu eine klare
Meinung: «Ich halte es sogar für möglich, dass unsere Generation Zinsen
wie früher von vier oder fünf Prozent nicht mehr erleben wird.» Er lässt
sich dabei unter anderem von der Überlegung leiten, dass die hohen
Schuldenberge vieler Staaten kaum Spielraum für höhere Zinsen zulassen
würden. Um eine unerwünschte Aufwertung des Frankens zu vermeiden, wird
die SNB die Leitzinsen bis auf weiteres negativ halten müssen. Kommt
dazu, dass die Geldmenge in der Schweiz und auch die Bilanz der SNB
enorm gewachsen sind. Es ist also wirklich reichlich Kapital vorhanden.
Dementsprechend werden Ausleihungen weiterhin praktisch umsonst zu haben
sein.
Vermeintliche und tatsächliche Risiken
Obwohl
bei den Hypotheken in der Schweiz erneut von rekordtiefen Zinsen die
Rede ist, merkt Lorenz Heim nüchtern an: «Da die Leitzinsen im Libor
deutlich negativ notieren, sind die heute aktuellen Zinskonditionen für
lange Festhypotheken möglicherweise immer noch zu hoch.» Im Zusammenhang
mit der Risikobeurteilung stellen sich also plötzlich ungewohnte
Fragen. Wenn sich an der aktuellen Konstellation über Jahre nichts
ändert, lohnt sich der zusätzliche Preis für eine lange Anbindung
möglicherweise nicht. Jedenfalls sind ja bekanntlich kurze Laufzeiten
und damit vor allem Libor-Hypotheken per se immer günstiger als die
langen. Obwohl viele Leute aufgrund ihres Bauchgefühls grösstmögliche
Sicherheit und eine lange Zinsbindung suchen, könnte eine
Schlussfolgerung lauten: Selbst wer zum Kundenprofil
«sicherheitsorientiert» zählt, sollte nicht den Gesamtbetrag auf zehn
Jahre hinaus oder noch länger fixieren.
Die Alternative in einem ausgewogenen Mix sind Festhypotheken mit
kürzeren Laufzeiten und insbesondere Libor-Hypotheken (siehe Box). Auch
Roland Altwegg von Raiffeisen führt Libor-Hypotheken ins Feld: «Aktuell
sind deren Zinsen am günstigsten, wobei diese bei Zinsveränderungen
meist sofort reagieren.» Da der offizielle Liborzins, der im
Bankengeschäft gilt, unter –0,7 Prozent liegt, ist eine höchst spezielle
Ausgangslage gegeben. Diese Zinsen müssten erst einmal von –0,7 Prozent
auf Null steigen, bis das bei Hypotheken überhaupt spürbar wird. Die
effektiv den Kunden mit Libor-Hypotheken verrechneten Zinsen würden erst
dann angehoben, wenn der Referenzzins wieder die Schwelle von Null
Prozent übersteigen würde. Bei den Festhypotheken von fünf Jahren und
mehr stellt die sehr lange vertragliche Bindung unter Umständen ein
Risiko dar. Ein Kunde, der einen Zehn-Jahres-Vertrag unterzeichnet,
haftet mit seinem Einkommen und Vermögen voll für die Erfüllung des
Vertrags – und natürlich für die Zinszahlung bis zum letzten Tag der
Vertragsdauer. Nicht geplante und nicht vorhersehbare Ereignisse wie
Arbeitslosigkeit, Scheidung, ein nicht geplanter Wechsel des
Arbeitsortes etc. können aus Kundensicht der Anlass sein, den Vertrag
vorzeitig kündigen zu müssen. Hier ist es aber branchenüblich, dass der
Kunde dafür schadenersatzpflichtig ist. Die konkrete Ausstiegszahlung,
die sogenannte «Vorfälligkeitsentschädigung», hängt von den Vertrags-
und Geschäftsbedingungen der Bank respektive des Vertragspartners ab.
Hohe Hürden bei den Banken
Für
die Praxis ist weiter zu bedenken, dass längst nicht jeder Eigentümer
und potentielle Eigenheimkäufer die strenge Prüfung der Banken besteht.
Für Leute, die schon Wohneigentum besitzen und Hypotheken haben, ist es
meist einfacher, vom Tiefzinsumfeld zu profitieren. Für Neuerwerber
stellt das geforderte Eigenkapital heute eine hohe Hürde dar: Alle
Schuldner müssen sich daran halten, dass sie mindestens 20 Prozent
eigene Mittel beisteuern. Höchstens die Hälfte davon darf als Vorbezug
der Pensionskasse entnommen werden. «Bei den heute relativ hohen Preisen
sind viele Käufer darauf angewiesen, eine Schenkung oder einen
Erbvorbezug aus der Familie zu beanspruchen», sagt Urs Tschudi von
Tschudi & Partner Immobilien in Uster/ZH.
Als zweite hohe Hürde gilt die finanzielle Tragbarkeit – gewissermassen
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kreditnehmer. Die
kalkulierten Kosten für ein Eigenheim – bei einem Zins von fünf Prozent
gerechnet – inklusive Amortisationen und Nebenkosten dürfen nicht mehr
als ein Drittel dieses Einkommens brutto ausmachen. Grundsätzlich
anrechenbar sind alle regelmässigen und dokumentierten Einkünfte des
Kreditnehmers. De facto führe dies heute bei den Banken zu einem
strengen Regime.
Die Fünf-Prozent-Regel
Als
Faustregel nehmen die Darlehensgeber fünf Prozent der Hypothek als
Ausgangslage. Zu dieser Zahl addieren sie noch ein Prozent des
Liegenschaftswertes als Nebenkosten; eine allfällige zweite Hypothek
muss innerhalb von 15 Jahren amortisiert werden. Etwas vereinfacht
gesagt: Bei einem Kredit über eine Million Franken und einem
Liegenschaftswert von 1,25 Mio. Franken ergeben sich mindestens 75 000
Franken an kalkulatorischen Eigenheimkosten. Und weil nach den
klassischen Kreditrichtlinien der Banken diese kalkulierte finanzielle
Last maximal ein Drittel des Einkommens ausmachen darf, muss ein hohes
Einkommen nachgewiesen sein: In unserem Beispiel also mindestens 225 000
Franken.
Liegt das Einkommen tiefer, hat der Schuldner höhere Eigenmittel einzubringen, um die kalkulatorische Belastung zu reduzieren. Eine Zeit lang gingen potentielle Käufer davon aus, dass sie nur lange genug suchen müssten, um auch bei schwierigen Voraussetzungen noch einen Kredit zu bekommen. «Die Praxis ist heute bei praktisch allen Banken durchweg streng», so die Erfahrung von Urs Tschudi.
Gute Beratung gefragt
Wer zum ersten Mal im Leben ein Haus oder eine Wohnung kauft, will sich entsprechend gründlich informieren. Zwar haben sich die Bankenlandschaft und auch die Hypothekenstrategien von anderen Anbietern wie Versicherungen wesentlich verändert; viele davon führten neue Vermarktungs- und Vertriebswege ein, gerade im Zug der Digitalisierung. «Gemessen am Total aller Hypotheken von über 1000 Milliarden Franken und dem generell steigenden Kreditvolumen bleibt der Anteil der Online-Abschlüsse aber immer noch klein», sagt Lorenz Heim. Er betont, dass die Mehrheit der Ersterwerber nach wie vor auf eine persönliche Beratung setzen. «Die Höhe des Zinses ist ja letztlich nur eine von sehr vielen Komponenten einer Finanzierung», so Heim.
Die meisten Käufer verlangen von einem professionellen Partner und Berater Aufschluss über den konkreten Ablauf oder die Bestimmungen in den Verträgen. «Viele Leute wollen ganz einfach Bescheid wissen, worauf sie achten müssen und welche Fehler sie vermeiden sollten», erläutert Heim. Denn die Käufer von Immobilien seien sich ja bewusst, dass es sich um eine Investition von grosser Tragweite handle.
Libor-Hypothek
Der Zins folgt dem Geldmarktsatz (LIBOR-Satz) und wird diesem periodisch angepasst. In der Regel haben auch Libor-Hypotheken eine feste Laufzeit (Rahmenvertrag). Die Libor-Hypothek wird auch Geldmarkt-Hypothek oder Rollover-Hypothek genannt.
Festhypothek
Kredit mit fester Laufzeit. Der Zins von Festhypotheken ist unabhängig von den Marktentwicklungen für die gesamte Laufzeit fix. Üblich sind Laufzeiten von einem bis zu zehn Jahren; etliche Anbieter führen sogar noch längere Laufzeiten im Angebot. Interessant bei Festhypotheken sind oft auch die Angebote von Versicherungen.
Text: Jürg Zulliger
aus: Haus und Wohnen, Printausgabe